„Entartete Kunst“ am Renaissance-Theater




Entartete Kunst, so nannten die Nationalsozialisten Kunstwerke, die nicht mit ihrem ästhetischen Verständnis übereinstimmten. Das betraf Musik und Literatur, in erster Linie aber die Malerei. Denn zeitgleich entwickelten sich Strömungen wie Dadaismus, Kubismus oder Expressionismus, die eine Abkehr von traditionellen Begriffen der Ästhetik zum Programm machten. Heute haben Gemälde von Otto Dix, Lovis Corinth oder Max Beckmann einen unschätzbaren Wert, und klassische Schönheitsideale sind kein Kriterium mehr für die Kategorisierung von Kunst.

Um Gemälde geht es auch in Ronald Harwoods Theaterstück „Entartete Kunst“, das derzeit am Berliner Renaissance-Theater uraufgeführt wird. Es greift die authentische Geschichte des Sonderlings Cornelius Gurlitt auf, der vor wenigen Jahren großes Medienaufsehen erregte, weil er in seiner Münchner Wohnung Hunderte solcher Kunstwerke aufbewahrte, ebenso verborgen vor den Blicken der Öffentlichkeit, wie er selbst es jahrzehntelang geblieben war.



Ein dankbarer Stoff also, den der Brite Harwood aufgegriffen hat: ein psychologischer Grenzfall, ein rätselhafter Fund, eine krimiartige Geschichte mit politischer und kulturhistorischer Komponente. Regisseur Torsten Fischer hat das Stück für das Renaissance-Theater in Szene gesetzt, prominent besetzt mit dem unvergleichlichen Udo Samel in der Hauptrolle. Samel macht Cornelius Gurlitt zu einer irisierenden Figur mit überraschenden Brüchen, die innerhalb von Sekundenbruchteilen vom naiven Kind zum lüsternen Greis wird, vom pathologischen Angeber zur beleidigten Primadonna. Dabei bleibt er jederzeit präsent, glaubwürdig und voll konzentriert.



Neben ihm wirken Boris Aljinovic, besonders aber Anika Mauer als Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft leider etwas blass und hölzern. Überzeugend dagegen Ralph Morgenstern als raffgieriger Kunsthändler, der von Gurlitt mit seinen eigenen Waffen geschlagen wird.

Die Aufführung kommt mit diesen vier Akteuren aus und verzichtet auf optische Effekte. Bis zur Pause bleibt das Bühnenbild statisch: zwei Sofas, Gurlitts Spielzeugeisenbahn und zahlreiche Gemälde, mit dem Rücken zum Betrachter aufgestellt, bieten dem Auge nur wenig Abwechslung. Im zweiten Teil dann kommt ein bisschen Bewegung in die Sache; eine Reihe von Bildern wird nun wie bei einer Auktion gezeigt, aber wenig später auch schon wieder von der Bühne geräumt, die nun sogar noch karger ist als zuvor.



Im Grunde kann man „Entartete Kunst“ auch als Hörspiel goutieren, mit geschlossenen Augen. Bei einer Aufführung von knapp zwei Stunden ist eine derartige optische Reduktion aber wohl eher bedenklich, selbst wenn Udo Samels ausdrucksstarkes Spiel natürlich ein genaues Hinschauen lohnt.

Die Geschichte, so wie Harwood sie in seinem Bühnenstück erzählt, wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. War Gurlitt ein leicht zurückgebliebener Spinner oder ein raffinierter Lügner? Hat er diese Bilder wirklich wie Familienmitglieder geliebt, oder ging es ihm um Profit? Welche Rolle spielte sein Vater Hildebrand, und wie viel wusste Gurlitt davon? Wurden die Bilder gestohlen, enteignet oder in Sicherheit gebracht? Welches Interesse hatte die Staatsanwaltschaft daran, dem über Achtzigjährigen die Kunstwerke wegzunehmen?


Die Aussagen bleiben widersprüchlich, vielleicht war es auch Gurlitt selbst, vielleicht ist dieser ganze Fall ein unlösbares Rätsel. Das ist für ein Theaterstück immerhin eine vorteilhafte Ausgangslage.

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