Die Euro Pride Convention
ist eine jährliche Zusammenkunft von Autoren, Lesern und Verlagen mit dem
Themenschwerpunkt LGBT – also lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Literatur.
Zwei weit verbreitete Missverständnisse möchte ich dabei gleich von vornherein ausräumen: Erstens ist dies alles andere als ein Nischengenre, und zweitens sind rund
80 Prozent der Leser ebenso wie der Autoren weiblich (und heterosexuell).
Die Convention fand in
diesem Jahr erstmals in Berlin statt – genauer gesagt in Berlin, Berlin, einem 700-Zimmer-Hotel
am Lützowplatz mit freundlicher, lichtdurchfluteter Architektur.
Die
Teilnehmerliste war bunt und international, nur knapp die Hälfte kam aus
Deutschland. Viele waren aus den USA angereist, andere aus Holland,
Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, Skandinavien, Österreich und der Schweiz.
Daher wurde die Veranstaltung komplett auf Englisch abgehalten.
Pünktlich
um 9 Uhr begann nach der offiziellen Begrüßung durch die vier
Organisator(inn)en das erste Diskussionsforum zum Thema Vielfalt.
Osiris Brackhaus, L. A.Witt, Matthew J. Metzger und Ana J. Phoenix (v. l. n. r.) bezogen dabei aus ihrer jeweiligen Sicht als Autor(inn)en
Stellung und stellten sich den Fragen des Publikums.
Ganz so einfach, wie es das
griffige Kürzel LGBT nahelegt, ist die Sache nicht. Immerhin muss man
unterscheiden zwischen sexueller Anziehung, romantischer Liebe und dem geschlechtsspezifischen
Selbstverständnis, und diese drei Komponenten müssen keineswegs alle unter
denselben Oberbegriff fallen. Biologische wie soziale Elemente spielen dabei
eine wesentliche Rolle.
Dass die entsprechende
Genre-Literatur dennoch relativ eindeutig etikettiert wird, hat eher praktische
Gründe. Leser(innen) sollen ja finden, was Autor(inn)en zu bieten haben. In der
Realität jedoch sind die Grenzen fließend.
Besondere Erwähnung, auch in den Fragen des Publikums, fanden die „Gay-for-you“-Romane, in denen der bisher heterosexuelle männliche
Protagonist sich unerwartet in einen Mann verliebt. Sie haben derzeit einen
großen Marktanteil.
Die Popularität dieses Subgenres werde aber, so war zu
erfahren, in den USA bereits übertroffen von „Asexual Romance“, also Liebesgeschichten
mit allem Drum und Dran, aber ohne den Wunsch eines oder beider Partner nach
einer sexuellen Beziehung. Wir können davon ausgehen, dass auch auf dem
deutschsprachigen Buchmarkt künftig mehr davon zu lesen sein wird.
M/M Writing war der Titel der zweiten Diskussionsrunde an diesem Tag. Auf dem Podium
saßen vier männliche Gay-Romance-Autoren: Andrew Grey, Brad Vance, Christian Baines und T. J. Masters (v. l. n. r.) – sozusagen die Einhörner der schwulen
Literatur, deren Klarnamen oft für die Pseudonyme weiblicher Verfasserinnen
gehalten werden.
Sowohl Masters als
auch Baines gaben unumwunden zu, wie überrascht sie gewesen seien,
als das Feedback auf ihre ersten Bücher praktisch ausschließlich von Frauen
kam. Auch ihre Kollegen gaben sich nicht der Illusion hin, mit
ihren schwulen Plots in erster Linie schwule Männer zu erreichen. Doch die
Erwartungen folgen nicht den gendertypischen Klischees, wonach Frauen eher von
romantischer Liebe und Männer eher von explizitem Sex lesen wollen. Wichtig sei
eine realistische Schilderung, betonte T. J. Masters, also eine gut
recherchierte Geschichte, und fügte augenzwinkernd hinzu: „Porn is not
research!“
Verlag oder Selfpublishing? Eine auch unter deutschen Autoren heiß
diskutierte Frage, deren sich Andrew Grey, Hans M. Hirschi, Jay Northcote und Julia Schwenk (v. l. n. r.) im Folgenden annahmen – wenn auch ohne große Überraschungen. Wir alle
wissen schließlich, dass Verlage (im besten Falle) professioneller arbeiten,
eine größere Vertriebsreichweite haben und dem Autor zahlreiche
Nebentätigkeiten abnehmen, was ihm mehr Zeit zum Schreiben lässt.
Und wir kennen auch die
Argumente der Selfpublisher, die lieber die vollständige Kontrolle über ihr
Produkt behalten, Deadlines und Erscheinungstermine selbst bestimmen, Preise
flexibel gestalten und mit dem Verkauf ihrer Bücher mehr verdienen wollen.
Oft
genannte Gründe, sich für das Selfpublishing zu entscheiden, sind auch die
Furcht vor dem rigiden Auswahlverfahren und einer möglicherweise vom
Verlagslektorat geforderten Manuskriptüberarbeitung (insbesondere Kürzungen),
wobei ich persönlich beides für wichtige Maßnahmen der Qualitätssicherung halte
und glaube, dass Selfpublisher sich durch deren Umgehung und den daraus
entstehenden Niveauverlust keinen Gefallen tun.
Dass mehr Kontrolle immer
auch mit mehr Verantwortung und Eigeninitiative einhergeht, war den
Diskutierenden bewusst. Gänzlich unerwähnt blieben dagegen beispielsweise Honorarvorschüsse,
wie sie bei Publikumsverlagen üblich sind, oder – am anderen Ende der Skala –
jene Verlage, die tatsächlich dreist genug sind, ihre Autoren für die
Veröffentlichung bezahlen zu lassen. Hier hätte ich mir eine stärkere
Differenzierung im Hinblick auf die große Bandbreite von Optionen gewünscht.
Einigkeit herrschte im
Hinblick auf die notwendige aktive Beteiligung des Schreibenden, sei er nun
Verlagsautor oder Selfpublisher. „Nobody is going to sell yourself but you“,
brachte es Hirschi auf den Punkt: Ohne Netzwerkarbeit, Fleiß und
Ideenreichtum bleiben auch die besten Autoren weitgehend unsichtbar und können
sich nicht gegen die aktivere Konkurrenz behaupten.
Welche
Veröffentlichungsvariante also nun zu bevorzugen ist, blieb auch diesmal
ungeklärt: „It really depends on what makes you happy“, bemerkte Andrew Grey
ebenso diplomatisch wie plausibel.
Das letzte Diskussionsforum
des Tages rückte die Nebenfiguren in
den Mittelpunkt. Andrew Grey, K. C. Wells und L. A. Witt (v. l. n. r.) schilderten, wie sie
zu ihren „secondary characters“ gefunden haben, was sie tun, wenn ihre Figuren
ein Eigenleben entwickeln, und warum diese gelegentlich später zu Hauptfiguren
von neuen Büchern werden. Über weite Strecken glitt dieses Gespräch allerdings
in Anekdoten über Haustiere ab und war zu stark an den Romanfiguren und den persönlichen
Erfahrungen der drei Schreibenden auf dem Podium orientiert, um von allgemeinem
Interesse zu sein.
Die Versorgung ließ an
diesem ersten Tag der Euro Pride Convention nichts zu wünschen übrig und war
sowohl auf amerikanische Bedürfnisse (Weißbrot-Sandwiches und fettgebackene
Donuts) als auch auf kontinentale Essgewohnheiten (frisches Obst, Tee und
Kaffee) abgestimmt.
Das mittägliche Büfett bot eine reichhaltige Salatauswahl,
Fleisch, Fisch, Geflügel, Gemüse und verschiedene Beilagen sowie Desserts, und
während der ganzen Zeit standen in den Seminarräumen Getränke zur Verfügung.
Aber eine Frage hat mich
den ganzen Tag beschäftigt: Warum nur hat – mit Ausnahme von Hans M. Hirschi
während seiner Keynote – niemand von Beamer und Leinwand Gebrauch gemacht?
Immerhin wurden alle Veranstaltungen in einem fensterlosen Raum abgehalten, der
optisch nur wenig Abwechslung bot.
Es wäre so leicht und so wirkungsvoll
gewesen, auf die leere Fläche hinter dem Podium ein paar Bilder (vielleicht von
früheren Euro Pride Conventions) zu projizieren, noch besser: die Namen der
jeweiligen Redner, am allerbesten: ihre Namen, die Cover ihrer Bücher und ihre
Webadressen.
Sei’s drum – es muss ja
fürs nächste Mal noch Steigerungspotenzial geben!
Vielen Dank für diesen interessanten Blick hinter die Kulissen. Ich hatte bisher noch gar nichts von dieser Veranstaltung gehört. Besonders das Subgenre Asexuel Romance finde ich sehr spannend. Gibt es bereits gute deutsche Titel in diesem Bereich?
AntwortenLöschenThanks for your thoughtful post. It is nice to see what other people thought of this meet and what they get from the panels.
AntwortenLöschenAnd from the ones I did not get to go to.
I have to agree with you on the white walls! But the other meets I have been to suffered from the same thing.
Bissl spät - als a_sexuelle Person sehe ich den besagten Trend mit einem Kopfkratzen. Einerseits Trend, andererseits muss ich mir auch von sehr aufgeschlossenen Menschen sagen lassen, dass ich nicht existiere und/oder krank bin.
AntwortenLöschenWir werden sehen, was passiert, und die beteiligten Autor*innen dürfen sich auf mindestens eine kritische Leserin einstellen. *böse grins*