Bühne frei! Eigene Texte vor Publikum lesen, Teil II

Im zweiten Teil meiner Blogserie zum öffentlichen Lesen eigener Texte geht es um kleine, aber nicht unbedeutende Feinheiten.

Das Feintuning


In jedem Fall wirst du die ausgewählten Buchpassagen für eine Lesung überarbeiten müssen. Geh sie sorgfältig durch und streiche alles, was störend, unwichtig oder verwirrend sein könnte. Bei Dialogen musst du vielleicht gelegentlich ein „sagte er“, „sagte sie“ ergänzen, denn das Publikum kann sich ja nicht anhand der Typografie orientieren. Versetze dich in die Zuhörer hinein, die keinerlei Vorwissen haben, und sorge dafür, dass der von dir vorgelesene Abschnitt auch ganz für sich stehen kann, dabei aber im besten Falle überaus neugierig auf das gesamte Buch macht.

Lies dir die ausgewählten Abschnitte einmal selbst laut vor. Dabei merkst du zum Beispiel, ob du die korrekte Aussprache bestimmter Begriffe noch mal nachschlagen musst, ob Dialoge lebendig klingen und wo du einen Satz umstellen musst, weil er sich dann besser anhört.

Manuskript oder gedrucktes Buch?


Sicher ist es viel einfacher, diese ganzen Arbeiten mit dem PC am Manuskript vorzunehmen. Dann brauchst du zur Lesung nur ein paar ausgedruckte Seiten mitzunehmen. Aber das Lesepublikum hat eine bestimmte Erwartungshaltung, und dazu gehört nun mal, dass der Autor ein Exemplar seines eigenen Buches in den Händen hält! Du machst ihnen damit auch mehr Appetit auf dein Werk.

Ich rate dazu, die Streichungen, Ergänzungen und Änderungen direkt im Buch vorzunehmen und mit kleinen Haftnotizzetteln die Stellen zu markieren, an denen du es aufschlägst. Geh dabei sehr sorgfältig und systematisch vor, damit du während der Lesung nicht hektisch herumblättern musst! Du kannst zum Beispiel mit verschiedenen Farben arbeiten oder die Haftnotizzettel nummerieren, um die ausgewählten Passagen in der richtigen Reihenfolge vorzulesen (die nicht zwangsläufig der im gedruckten Buch entsprechen muss).

Wenn du mehrere Lesungen aus deinem Buch gehalten hast, merkst du an den Publikumsreaktionen, an welchen Stellen du noch etwas ändern solltest. Nach und nach kannst du dein Leseexemplar so zum optimalen Werkzeug perfektionieren. Und irgendwann brauchst du es kaum noch, weil du deinen Text beinahe auswendig aufsagen kannst.

Ich hatte einmal mein überarbeitetes Vorleseexemplar von Klassenziel zu Hause vergessen und musste die Lesung aus einem nagelneuen Buch ohne meine gewohnten Markierungen und Streichungen halten. Zu meiner Überraschung hat das tadellos geklappt, denn ich kannte die Stellen, an denen ich Veränderungen vorgenommen hatte, und sah die handschriftlichen Anmerkungen vor meinem inneren Auge. Nach einer gewissen Zahl von Lesungen aus demselben Buch greift offenbar ein gewisser Automatismus.



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