Schlaflos im Ellington

Abend in der fremden Stadt - und wieder mal nichts im Fernsehen

Was macht ein Hotelgast am Abend, den das Fernsehprogramm langweilt, der sein Lifestyle-Magazin im Flugzeug vergessen hat und dem die Lektüre der Bibel ein allzu anspruchsvolles Vorhaben zu sein scheint?


Diese Frage stellten sich im Auftrag des Berliner Ellington Hotels auch Heiko und Manuela Mehnert von der Marketingagentur brand campus. Bei einem Sonntagsspaziergang kam ihnen die zündende Idee: ein Büchlein mit frischen, originellen Kurzgeschichten und passenden Illustrationen soll den Gast bis zum Einschlafen aufs Angenehmste unterhalten. Falls die Zeit nicht für alle Geschichten reicht oder der Hotelgast noch ein Mitbringsel für die Daheimgebliebenen benötigt, kann er das Buch an der Rezeption kaufen.

„Schlaflos im Ellington“ weist aber noch zwei weitere Vorzüge auf. Zum einen geht ein Teil des Verkaufserlöses an die Berliner Tafel, die rund 125.000 Bedürftige jährlich mit geretteten Lebensmitteln versorgt. Zum anderen werden durch die Ausschreibung junge und weniger bekannte AutorInnen gefördert, die hier die Chance auf eine (erste) Veröffentlichung bekommen. 

Soeben ist der vierte Band dieser Erfolgsreihe erschienen. Aus 120 Einsendungen haben die JurorInnen sieben Texte dafür ausgewählt.

Heiko Mehnert, der auch zur Jury gehörte, führte souverän durch die feierliche Buchpräsentation im Ellington Hotel und stellte drei der Gewinnerinnen vor, die Auszüge aus ihren Kurzgeschichten vorlasen. 

Gut vorbereitet: Heiko Mehnert präsentiert die Gewinnerin Gabi Röhr

Den Auftakt machte die Ghostwriterin und Bloggerin Martina Conradt mit „Ausgeträumt“. Eine Frau mittleren Alters, allein in einer fremden Stadt, beschließt spontan, sich – ganz entgegen ihren Gewohnheiten – ins Nachtleben zu stürzen. In einem Club lernt sie einen gut zwanzig Jahre jüngeren, attraktiven Mann kennen, dessen nette Komplimente ihr etwas eingetrocknetes Selbstbewusstsein wieder zum Erblühen bringen. 

Kriegen sie sich oder nicht? Martina Conradt

Das ist kurzweilig beschrieben und bleibt spannend: Wird das nun was mit den beiden? Oder ist der Mann im Karohemd ein gewissenloser Manipulator auf der Suche nach einem gutgläubigen Opfer?

Gabi Röhr arbeitet im Hauptberuf für einen Telekommunikationsanbieter und ist mit anderen Berliner Schreibenden gut vernetzt. „Müssen es Männer mit Flügeln sein?“ – diese Frage stellt sich einer total gestressten Ehefrau, die sich mitten in den hektischen Festvorbereitungen aus ihrer Wohnung ausschließt und den Heiligabend bei ihrer alten Nachbarin verbringen muss, bis ihr Mann nach Hause kommt. Dort begegnet sie dem Afrikaner Joseph und der Punkgöre Sternchen, für die ein Fest eher Entspannung und Gemeinsamkeit bedeutet als Stress und Perfektionismus.

Geflügelte Worte: Gabi Röhr

Bildhaft und farbig schildert Gabi Röhr, wie die inneren Blockaden der Ich-Erzählerin ganz allmählich ins Wanken geraten und sie der Weihnachtsbotschaft auf die Spur kommt.  

„Das Blau des freien Himmels“ heißt die Kurzgeschichte der Verwaltungsangestellten und dreifachen Mutter Susann Obando Amendt, in der Teenager Jonas von Mitschülern abgezogen wird, den Brief eines syrischen Flüchtlings im Gebüsch findet und von seiner allein erziehenden Mutter zwar bekocht und beschenkt, aber nicht verstanden wird. 

Hat schon bei einem Märchen-Schreibwettbewerb gewonnen: Susann Obando Amendt

Die Autorin hat Themen wie Mobbing, Flüchtlingsschicksal und Wohlstandsverwahrlosung aufgegriffen, die Betroffenheit auslösen sollten, doch fehlt der rote Faden, der die Themen miteinander verknüpft und eine Entwicklung in Gang bringt. Die Figuren bleiben im Klischee verhaftet.

Zwei weitere Auszüge aus den im vierten Band von „Schlaflos im Ellington“ veröffentlichten Kurzgeschichten wurden nicht von den Verfasserinnen selbst, sondern von Mitgliedern der Jury vorgelesen.

Der Autor und Journalist Bernd Oertwig präsentierte „Neue Kunst im alten Gewand“ von Claudia Jüngling. 

Gespür für den richtigen Stil: Jurymitglied Bernd Oertwig

Humorvoll und mit viel Fachwissen gewürzt wird hier die Geschichte einer Restauratorin erzählt, die der Versuchung nicht widerstehen kann, Kunstwerke zu fälschen.

Heiko Mehnert beendete den Geschichtenreigen mit „Verbotene Liebe“ von Sarah Drews: Die schwangere Anja wird in einem präparierten Auto aus der DDR in den Westen geschmuggelt – und muss sich aus Sicherheitsgründen zuvor in Benzin tränken.

Frisch aus der Druckerei: Schlaflos im Ellington 4 in den Händen von Heiko Mehnert

Ob die Flucht gelingt, blieb offen – gelungen war jedenfalls die Veranstaltung im Ellington Hotel, die in lockerer Runde bei einem Aperitif im Sommergarten ausklang.



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