Gastbeitrag von Undine Günther: Glanz oder gar nicht (Teil 1)



Meistens saß der Hund vor einem der drei gigantischen Fenster, die eine der Ecken des Hauses bildeten. Er saß auf einem viel zu großen Kissen und sah auf den Park. Aufgeweckt beobachtete er die Radler und Jogger, und manchmal bellte er den vorbeilaufenden Hunden zu. Ich fragte mich, ob er ihnen zeigen wollte, wie schön er es hatte, ihnen sagen, dass das Haus seines Herrchen so groß war, dass er, um Auslauf zu haben, nicht einmal rauszugehen brauchte. Und wenn er mal musste, dann würde er in den ebenso großen Garten gehen, die Blumenbeete umrunden und an die Büsche urinieren, die ein Gärtner pflegte, dessen Namen er vergessen hatte und der ihm jedes Mal einen Hundekuchen in den Mund schob, wenn er vorbeikam. Meistens sang er dabei Lieder in einer Sprache, die der Hund nicht kannte und die sein gewöhnliches Vokabular um Weites überschritt.

Doch in diesem Moment sah er einfach nur nach draußen. Seine Ohren waren gespitzt, und er rührte sich nicht auf seinem Thron aus Gänsefedern, von Gänsen, die er wahrscheinlich lieber selbst gejagt hätte, als unverdient seinen reinrassigen Hintern darauf niederzulassen.

Manchmal war auch sie zu sehen. Dann stand sie am Fenster, eine Hand an der Scheibe, die andere strich über den Kopf des Hundes. Ich stellte mir vor, wie ihre Hand einen Abdruck auf dem Glas hinterließ, wie ein Zeichen dafür, dass sie noch da war, dass sie sich nicht in dem großen Haus verloren hatte. Ein Abdruck, den sie hin und wieder erneuern musste, da eine schwarzhaarige Putzfrau ihn immer wieder mit Glasreiniger entfernte und ihren Ärger darüber nicht kundtat, da sie Angst hatte, gemeldet zu werden.

Der Hund hatte seine Augen jetzt auf mich gerichtet, obwohl ich hinter den vielen Bäumen, die das Grundstück vom Park trennten, gut geschützt war. Geschützt vor den Blicken der Bewohner dieses Hauses, das ich nach Beendigung meiner täglichen Runde bewunderte und das mir inzwischen so vertraut war, dass ich mich fast als Teil davon fühlte. Der Hund bellte schon seit einiger Zeit nicht mehr, wenn er mich auf dem Sandweg stehen und meine Dehnübungen machen sah. Er kannte mich inzwischen und schien mich einfach hinzunehmen, ließ mich meine Beobachtungen anstellen und seine Herrin bewundern, ihre blonden Locken und ihre sanfte Haut.

Da es heiß war und ich beim Rennen viel geschwitzt hatte, beschloss ich, nach Hause zu gehen, um morgen zur gleichen Zeit wiederzukommen und nach ihr Ausschau zu halten.

Die Temperaturen waren über 30 Grad geklettert, und der Schweiß lief mir die Stirn hinunter, als ich mich nach vorn beugte, um den Boden zu berühren. Der Hund saß heute nicht an seinem gewohnten Platz, und auch sie war nirgends zu sehen. Ich setzte mich auf die gegenüberliegende Bank und wartete, doch weder der Hund noch sie erschienen hinter den riesigen Fenstern.

Auch in den nächsten Tagen war niemand zu sehen, vielleicht waren sie in den Urlaub gefahren.

Am Freitag kam für gewöhnlich die Putzfrau. Ich hatte mir ein Sandwich mitgenommen und wartete, dass sie die Fensterfront mit dem kleinen pinken Lappen abwischte, doch auch sie erschien nicht. Als ich am Montag den Park betrat, ging ich, ohne mit dem Rennen zu beginnen, zum Haus. Die Sonne schien durch die Fenster, die von einem dünnen Staubfilm bedeckt waren. Die Putzfrau war auch übers Wochenende nicht gekommen.

In den vielen Monaten, die dieses Haus und seine Bewohner Teil meiner Routine geworden waren, in denen ich mir vorgestellt hatte, dass sie mich sehen und zu sich hereinwinken würde, hatte die Putzfrau pünktlich jeden Freitag um 10 Uhr die Fenster geputzt. Meine Füße trugen mich ohne zu zögern den Weg entlang und die Treppenstufen hoch zur Straße. Ich lief an den goldenen Klingelschildern und dem Mercedes Benz vorbei, bis ich vor einem kleinen blauen Zaun stand. Ich ging den zu beiden Seiten von Gänseblümchen gesäumten schmalen Weg entlang zur Tür, die in demselben Blauton leuchtete, und legte meinen Zeigefinger auf die Klingel. Meine Hand zitterte, und der Knopf bewegte sich unter dem leichten Druck. 

Doch dann zog ich sie wieder zurück und sah an dem Haus empor. So nah war ich ihm noch nie gewesen. Die Macht, die von ihm ausging, ließ meine Knie weich werden. Hinter mir hörte ich Schritte und drehte mich um. Ein älterer Herr ging mit seinem Dackel spazieren und grüßte mich, indem er eine Hand hob. Er blieb vor mir stehen. „Grüßen Sie auch mal die Clara, ich hab die schon ein ganzes Weilchen nicht mehr gesehen.“

Das Blut schoss mir in den Kopf, und ich nickte. Unfähig, etwas zu sagen, legte ich die Hand auf die Klinke, und zu meiner Überraschung öffnete sich die Tür.

(Fortsetzung folgt)

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