Lassen wir mal den historisch-politischen Aspekt beiseite:
Inzwischen ist der Christopher Street Day in erster Linie ein großes, buntes
Straßenfest mit einem karnevalesken Umzug durch die Innenstadt, mit Musik, Imbissständen
und Getränkebuden, mit Dixiklos, Sanitäterzelten und jeder Menge Partyvolk.
Schwul, lesbisch, trans, hetero oder Tourist – hier kann jeder mitfeiern.
Was auf den ersten Blick an öffentliche Hinrichtungen
erinnern mochte, entpuppte sich bei näherer Betrachtung als ultimativer
Adrenalinkick: Für 50 Euro konnten sich Freunde des Nervenkitzels hier von der
Firma Upgrundtief aus 70 Metern Höhe schubsen lassen.
Und das lief wie
geschmiert: Während der eine noch kopfüber am Bungeeseil baumelte, stand der
oder die Nächste bereits mit umgeschnallten Gurten am Boden bereit, um in den
Fahrkorb zu steigen.
Die gesamte Straße des 17. Juni zwischen Siegessäule und
Brandenburger Tor war flankiert von Cocktail-, Würstchen-, Bier- und
Partybedarf-Buden. Kein Grund also, hungrig oder durstig zu bleiben, und mehr
oder weniger gute Musik wummerte auch aus zahlreichen großen Boxen.
Mein absolutes Highlight inmitten dieses bunten Getümmels
war Oded Kafri, ein israelischer Straßenmusiker, der mit recht bescheidenen Mitteln
allerfeinste Festival-Stimmung verbreitet. Ein uralter Generator versorgt seine
Soundmachine, die schlichte Samples und Loops produziert, und er spielt dazu
live die Percussions – und zwar mit allem, auf dem man nur trommeln kann, von
der Alu-Trittleiter über Kuhglocken und Heliumflaschen bis zu Ölfässern, wobei
er zusätzlich noch ein „richtiges“ Schlagzeug verwendet.
Seine Performance in Worte zu fassen ist schwer, die muss
man erleben. Kafri bearbeitet seine Gerätschaften mit einer derartigen Energie,
dass man damit die Stromversorgung einer Kleinstadt sicherstellen könnte. Es
ist kein Zufall, dass seine Drumsticks auf sämtlichen Fotos trotz kurzer
Belichtungszeiten verschwommen sind!
Die Präzision und Geschwindigkeit seiner
Beats ist überwältigend und kann stellenweise nicht mehr getanzt, sondern nur
noch gezittert werden.
Es dauerte nicht lange, bis er seine Zuhörer in einen wahren
Rausch getrommelt hatte. Stillstehen war praktisch unmöglich, selbst bei den
größten Bewegungsverweigerern zogen sich wenigstens die Mundwinkel nach oben.
Absolut umwerfend! Ab sofort bin ich Kafri-Fan. Übrigens: im Dezember soll er
wieder in Berlin spielen … Ich hab’s mir vorgemerkt!
Mag sein, dass die Künstler auf der Hauptbühne direkt vor
dem Brandenburger Tor – hier Culcha Candela – größere Massen mitreißen konnten.
Selbst die peinlichen, einstudiert wirkenden Jubelreden der Moderatoren („Ihr
seid die Gesellschaft, die wir wollen!“) sorgten ja für Applaus und Freudengeheul.
Das sei allen, die vor der Bühne Spaß hatten, sehr herzlich gegönnt. Mein Star
des diesjährigen CSD in Berlin bleibt trotzdem Oded Kafri.
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