Kollisionen heißt der zweite Roman des Berliner Autors Florian Scheibe, der vor
wenigen Tagen bei Klett-Cotta erschienen ist. Gefeiert wurde dies durch eine
Buchpräsentation im Literarischen Colloquium, denn in der dortigen
Autorenwerkstatt hat Florian bei der Arbeit an seinem Manuskript Unterstützung
und Inspiration gefunden.
Drei Figuren stehen im
Mittelpunkt des Romans, und abwechselnd wird aus der Perspektive jeweils einer
davon erzählt. Auf der einen Seite steht das Paar Carina und Tom, Ende dreißig,
beruflich erfolgreich genug, um sich eine Penthouse-Wohnung mit „authentischem“
Blick auf den Drogenpark leisten zu können.
Carina ist
Immobilienmaklerin, eine disziplinierte, zielstrebige, nüchterne „Powerfrau“
mit den üblichen politisch korrekten Vorstellungen von Ernährung und
Lebensführung. Sie wünscht sich ein Kind, scheint jedoch auf natürlichem Wege
nicht schwanger werden zu können.
Ihr Partner Tom schreibt
Kolumnen für ein Stadtmagazin und möchte gerne der ideale „neue Mann“ sein, was
allerdings immer wieder an seiner Unausgewogenheit von Emotio und Ratio scheitert.
Dass Carina nicht von ihm schwanger wird, unterminiert seine Männlichkeit.
Mona ist eine 16-jährige
Drogenabhängige, die im Park unterhalb jener Penthouse-Wohnung ihren Geschäften
nachgeht. Sie ist aus einem erfolgsfixierten wohlsituierten Elternhaus geflüchtet
und erwartet ein ungewolltes Baby von einem jungen osteuropäischen Obdachlosen.
Aus den Begegnungen
dieser drei Personen und ihren jeweiligen Ängsten, Wünschen und Irrwegen
entwickelt sich die Handlung von Kollisionen,
einem urbanen, stellenweise satirisch-ironischen Gesellschaftsroman, der
dennoch seine Figuren nicht bloßstellt, sondern jeder ihre Berechtigung und
Glaubwürdigkeit bewahrt.
Ich traf Florian Scheibe,
der bereits mehrere Kurzgeschichten in der Berliner Literaturzeitschrift Storyatella veröffentlicht hat, vorab zu
einem Interview in Kreuzberg.
Viele Aspekte deines Romans wirken sehr
authentisch, beispielsweise die Darstellung der Kinderwunschbehandlung. Auch die Drogenszene, in der Mona sich bewegt, hast du sehr plastisch beschrieben. Wie bist du bei der Recherche vorgegangen?
Ich habe wie viele andere auch mit elf oder zwölf Wir
Kinder vom Bahnhof Zoo von Christiane F. gelesen und war davon total fasziniert.
Ich hatte damals das Gefühl, Heroin wäre vielleicht sogar meine Droge, und
deshalb würde ich auf jeden Fall die Finger davon lassen. Ich habe aber immer in Gegenden gewohnt, wo sehr viele Drogen konsumiert wurden. Das hat mich
interessiert, und ich habe mir die Frage gestellt, wie man sich so kaputtmachen
und sehenden Auges in den Abgrund marschieren kann. Ich kenne auch viele
Sozialarbeiter. Mit dieser gesellschaftlichen Realität, der Drogenszene und da
vor allem Heroin hatte ich immer ziemlich viele Berührungspunkte.
Ich glaube, dass
Sozialarbeit in diesem Bereich nur funktioniert, wenn sie eine akzeptierende
ist. Ich glaube nicht an Sozialarbeit, die einen cleanen Anspruch hat. Wenn
jemand von der Droge runterkommt, ist das natürlich toll, aber man weiß ja nur
schon vom Rauchen, wie schwer es ist, damit aufzuhören. Wenn man das mal
hochrechnet auf eine Droge, die wirklich eine Wirkung hat … Das kann nur aus
den Menschen selber kommen, und da müssen auch viele Ressourcen da sein, ein
Boden, auf dem sie stehen können, damit sie das hinbekommen.
Du beschreibst in deinem Roman die Schauplätze so,
dass man sie als Berliner auf Anhieb wiedererkennt. Trotzdem nennst du weder
Orts- noch Straßennamen. Der Schauplatz von Kollisionen
bleibt also anonym. Warum?
Ganz am Anfang war mal
die Überlegung, dass der Roman explizit im Prenzlauer Berg spielt. Ich wollte Carina und Tom in einem Viertel wohnen lassen, das so gut wie gar keine
Drogenproblematik hat, und Mona da reinkommen lassen. Aber davon habe ich dann
wieder Abstand genommen, weil das viel erklärungsbedürftiger gewesen wäre.
Jetzt spielt sich die Handlung tatsächlich zwischen Wiener Straße und
Paul-Lincke-Ufer ab. Da kann man diese Gegensätze auch wirklich gut beobachten,
Stichwort Gentrifizierung. Und wenn man fünf oder zehn Jahre nach vorne schaut,
kann man sich vorstellen, dass es diese Gegensätze nicht mehr gibt.
Ich habe beim Schreiben
gemerkt, dass es mir widerstrebt, die Orte konkret zu benennen. Das kann ich
gar nicht begründen, es war eher so ein Bauchgefühl. Hinzu kamen auch die
Überlegungen des Verlags, dass Kollisionen
nicht als Berlin-Roman vermarktet werden sollte. Meine Absicht war ohnehin,
keinen Berlin-, sondern einen Großstadt-Roman zu schreiben, insofern rannte das
bei mir offene Türen ein. Als ich diese Entscheidung dann getroffen hatte, war
das ein gutes Gefühl. Ich konnte die Orte beschreiben, aber trotzdem mit einem
neuen Blick wie aus der Vogelperspektive auf die Stadt gucken wie auf eine
Insel. Das war für mich genau richtig.
Ich hätte den Wunsch,
dass auch jemand in Frankfurt oder in Zürich sich vorstellen kann, dass die Handlung
dort stattfindet. Es ist natürlich lustig, dass trotzdem jeder sofort Berlin
darin wiedererkennt, selbst Menschen, die noch nie in Berlin waren.
Kollisionen ist im
Rahmen der Autorenwerkstatt am Literarischen Colloquium Berlin entstanden. Wie
kann man sich das vorstellen? Welche Bedingungen musstest du dafür erfüllen?
Normalerweise ist die
Autorenwerkstatt für Autoren, die noch nichts veröffentlicht haben. Aber das
war eine Ausnahme, explizit eine Autorenwerkstatt für das zweite Buch, und das
fand ich natürlich toll, weil es mir auch die Tür geöffnet hat. Die Idee
dahinter war, dass ein erster Roman zwar schwierig, der zweite aber noch viel
schwieriger ist. Diese Erfahrung kenne ich vom Schreiben, die kenne ich auch
vom Filmemachen. Das Zweite ist immer das schwerste.
Natürlich ist das auch
eine Vermarktungsfrage. Ein Debüt lässt sich für den Verlag besser verkaufen.
Auch das ist beim zweiten Buch schwieriger, vor allem wenn das Debüt jetzt
nicht so der Erfolg war.
Die zehn Teilnehmer
dieser Autorenwerkstatt hatten also alle schon einen Roman veröffentlicht, manche
erst kurz vorher, andere schon weiter zurückliegend. Das war sehr spannend,
weil alle schon eine gewisse Erfahrung mit dem Betrieb hatten. Man arbeitet
dann an vier Wochenenden im Vier-Wochen-Abstand von Herbst bis Frühjahr an
seinen Texten. Man widmet sich immer einen kompletten Tag lang einem Text, den hat
dann jeder gelesen, und es gibt immer einen Tandempartner, der das versucht zu
moderieren. So kommen dann sehr fruchtbare Diskussionen zustande. Und es sind
natürlich auch Freundschaften daraus entstanden.
Bevor ich zur Autorenwerkstatt
eingeladen wurde, steckte ich mit meinem Roman fest. Es gab nur den Anfang, und
ich war mir unsicher, ob daraus überhaupt ein ganzer Roman entstehen würde.
Aber durch die Teilnahme habe ich dann daran weitergearbeitet. Es gab auch eine Lesung auf der Leipziger Buchmesse, und dort habe ich meinen
Agenten kennengelernt. So kam die Vermittlung zu Klett-Cotta
zustande.
Gibt es denn schon ein Projekt Nummer drei?
Ich habe mir immer
gesagt, bevor Kollisionen rauskommt,
müsste ich eigentlich etwas Neues in der Mache haben, damit mich das, was jetzt
an Rezensionen kommt oder auch was nicht kommt, nicht mehr so tangiert. Ich
habe viel darüber geredet und habe das allen gesagt, und natürlich hat’s nicht
geklappt.
Es gibt zwar ein Thema,
aber es gab noch keine konkrete Idee. Ich war lange auf der Suche nach der
geeigneten Szene, nach dem Einstieg. Immer wieder dachte ich, jetzt hab ich’s,
und dann habe ich auch geschrieben, aber es war doch nicht das Richtige. Aber
jetzt ganz aktuell habe ich – hoffe ich jedenfalls – etwas, das auch
weitergeht. Ich hab auch Lust dazu. Wenn ich schreibe, bin ich deutlich
zufriedener, als wenn ich nicht schreibe. Deshalb war ich auch in den letzten
Monaten etwas schwierig für meine Umwelt.
Danke für den guten Einblick und das Interview.
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