Berlin–Beirut: Interview mit Gitta Mikati

Noch vor ihrer Buchpräsentation im Literaturhaus Berlin hatte ich Gelegenheit zu einem Interview mit Gitta Mikati. Die faktischen Hintergründe zu ihrem gerade erschienenen Roman Berlin–Beirut standen dabei im Vordergrund, aber mich interessierte auch ihr persönliches Verhältnis zum Schreiben.





Berlin–Beirut ist dein erster Roman und basiert auch auf deinen persönlichen Erfahrungen. Wann hast du beschlossen, sie in literarischer Form aufzuarbeiten? Und wie lange hat es gedauert, bis aus der Idee dann das fertige Buch wurde?

Die historischen Hintergründe des Romans beruhen auf Fakten, er ist an Originalschauplätzen angesiedelt, die Geschichte selbst, die Figuren, die Handlung, all das ist Fiktion. Meine persönlichen Erfahrungen? Meine Tätigkeit bei der Berliner Polizei − und dann traf ich einen Libanesen, einen Bürgerkriegsflüchtling, verliebte mich, heiratete. So kam es, dass ich beide Seiten kennenlernte: wie gehen Behörden mit Flüchtlingen um – und wie gehen die Flüchtlinge mit ihrer Flucht um.

Irgendwann 2007/08, im Zusammenhang mit den ersten Ankündigungen von Events rund um das Ereignis „20 Jahre Mauerfall“, konkretisierte sich mein Vorhaben, das fast unbekannte Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte aufzugreifen: die illegale Einreise von Personen aus visumpflichtigen sogenannten „Drittländern“ in den Westen. Dies geschah mit Unterstützung der DDR.

Ost-West-Geschichten gibt es zur Genüge, aber dieses brisante Thema wurde nirgends erwähnt. Bei meiner Umfrage im Freundes-, Bekannten- und Autorenkreis stellte sich dann heraus, dass es lediglich eine Person gab, die das wusste, was ich im Folgenden beschreibe (ich hatte Dutzende befragt).

1975, etwa zeitgleich mit Ausbruch des Bürgerkriegs im Libanon, erweiterte die DDR das Flugnetz ihrer Linie Interflug von Zielen in sozialistische Länder auf Ziele im Nahen Osten: Damaskus und Beirut. Die Botschaft der DDR in Beirut verkaufte den Flüchtenden Einreisevisa und Flugtickets nach Schönefeld. Dort gelandet, wurden sie in Bussen zur Friedrichstraße gebracht und noch vor Mitternacht durch den Tränenpalast auf die U-und S-Bahnhöfe nach West-Berlin abgeschoben. Die West-Berliner Polizei kontrollierte die Bahnhöfe im Westen nur schwerpunktmäßig, so dass die überwiegende Anzahl von Flüchtlingen unkontrolliert einreiste und in West-Berlin Asyl beantragte – oder illegal dort lebte. Wer aufgegriffen und abgeschoben wurde, konnte auf die gleiche Weise wieder einreisen.

Über Schönefeld konnten sie übrigens in ihre Heimatländer zurückfliegen oder auf dem Landweg durch die Ostblockstaaten in ihre Heimat fahren. Die Strecke DDR−Tchechoslowakei−Ungarn−Jugoslawien−Bulgarien−Türkei−Syrien−Libanon entwickelte sich zum „Trampelpfad“, der auch für Autotransporte genutzt wurde.

Wenn man bedenkt, dass dieses Problem bis zur Wende nicht gelöst wurde – der Bürgerkrieg im Libanon endete 1989/90; ca. 900.000 Einreise-/Durchreise-Visa und Flugtickets wurden in diesem Zeitraum verkauft –, bekommt man eine Ahnung davon, wie lukrativ dieses Geschäft für die DDR war. Mancherorts wurde gesagt, dass die DDR den Westen mit dieser Flüchtlingsflut destabilisieren wollte, verlangte die Bewältigung doch einen enormen finanziellen und logistischen Aufwand. So wurden die Flüchtlinge zum Beispiel in das Bundesamt nach Zirndorf transportiert und von dort aus während des Anerkennungsverfahrens auf die Bundesländer verteilt.

Der enorme Flüchtlingsstrom der letzten Monate hat das Thema Flucht und Asyl in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Dein Roman hat damit an Brisanz gewonnen. Wolltest du damit von Anfang an auch eine politische Aussage treffen, oder ist Berlin–Beirut in erster Linie ein Krimi und die Geschichte eines Paares?

Mir ging es in erster Linie um die politische Aussage. Ich habe rund vier Jahre lang recherchiert und geschrieben. 2012 schrieb der Aufbau-Verlag zusammen mit der Textmanufaktur Leipzig den Werner-Bräunig-Literaturpreis aus; das Manuskript erhielt in Leipzig den Publikumspreis, der Verlag war jedoch nicht an einer Veröffentlichung interessiert.  

Nach einer weiteren Überarbeitung wurde das Manuskript im Sommer 2013 von Anna Mechlers Literaturagentur Lesen & Hören angenommen. Unzählige Verlage wurden kontaktiert, meiner Schätzung nach mindestens 60, doch es fand keinen Interessenten. Erst Ende 2015 – da war die aktuelle Flüchtlingskrise an ihrem Höhepunkt −, gab der Divan Verlag dem Manuskript eine Chance.

Schreiben ist ein einsames Geschäft – hast du das auch manchmal so empfunden? Wie hast du dich beim Schreiben vernetzt? Bei wem hast du Unterstützung und Förderung gefunden? Was würdest du anderen Autoren raten?

Ehrlich gesagt empfinde ich das Schreiben nicht als einsam. Im Gegenteil – ich bin stets in Gesellschaft meiner Figuren. Sie leben mit mir zusammen, begleiten mich überall hin, ich habe sogar schon von meinen Figuren gelernt … Ich gehe sogar so weit zu behaupten: Als Autor lebe ich mehr als ein Leben.



Vor elf Jahren habe ich mit vier anderen AutorInnen die RomanRundeBerlin gegründet; wir treffen uns alle zwei bis drei Wochen und kommentieren, diskutieren, kritisieren unsere Texte. Über diese Runde habe ich die GNL, Gesellschaft für neue Literatur, kennengelernt und bin Mitglied geworden. Darüber hinaus habe ich an vielen Schreibseminaren und Schreibreisen teilgenommen – und tue das immer noch. Schreibreisen sind meine Art von Urlaub geworden.

Was ich jedem Schreibenden an Herz legen will: Wir alle lernen von den Stärken und Schwächen anderer Texte; darüber hinaus lernen wir interessante, gleichgesinnte Menschen kennen. Das bereichert das eigene Leben ungemein, wie ich finde. Deshalb: Wer keine Schreibgruppen in der Umgebung hat – gründet einfach eine!

Auf deiner Homepage findet man den Hinweis, dass du bereits an einem neuen Romanprojekt arbeitest. Um was geht es darin?


Sir! Yes, Sir! ist ein Projekt, das ich vor über zehn Jahren begonnen und dann abgebrochen habe, um  Berlin−Beirut zu schreiben. Nun habe ich es wieder aufgegriffen, die Figuren bleiben die, die sie waren, allerdings schreibe ich es inhaltlich um. Mich interessieren Macht und Ohnmacht, die Macht der Ohnmächtigen – und anders herum. 

In dem Projekt beschäftige ich mich mit der Frage: Kann man sich vor Umweltkatastrophen, Gewalt und Terror schützen, ohne die persönliche Freiheit gänzlich aufzugeben, und welche Konsequenzen kann das haben? 


Berlin−Beirut. Eine Lüge zu viel, Divan Verlag, 256 Seiten, 15,90 Euro

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