Thomas Hettche über Pfauen und andere Vögel

„Hessen zeigt Kultur“, so heißt eine Veranstaltungsreihe der Hessischen Landesvertretung in Berlin, bei der in loser Folge hessische Autoren und ihre Werke vorgestellt werden. Mit Thomas Hettche, dem Verfasser des Romans Pfaueninsel, war diesmal ein besonders prominenter Gast eingeladen, der erwartungsgemäß für einen vollen Saal sorgte. Moderiert wurde der Abend charmant, wenn auch gelegentlich etwas stockend von der Literaturkritikerin Verena Auffermann.



Das Thema der Körperlichkeit, so Auffermanns Einstieg in das Gespräch, ziehe sich als roter Faden durch Hettches Gesamtwerk. Auch in Pfaueninsel spielt der Körper mit seinen Versprechungen, Bedürfnissen und Schwächen eine zentrale Rolle. Schließlich ist die Protagonistin Marie eine Kleinwüchsige. Sie unterscheidet sich also (nicht nur körperlich) von ihrem gesamten höfischen Umfeld und stößt im Verlaufe ihrer wechselvollen Biografie oft an ihre Grenzen.

Ungewöhnlich für Hettches Oeuvre ist dagegen das Genre des historischen Romans. Darauf sei seine Wahl nur gefallen, weil er so das Motiv und die Geschichte bestmöglich habe vermitteln können, erklärte der 51-Jährige und fügte mit verschmitztem Lächeln hinzu: „Für einen Künstler ist die Gattung so unwichtig wie für einen Vogel der Ornithologe.“

Entstanden ist der Roman aus einer einzigen Szene, die er schon zwanzig Jahre früher geschrieben habe und in der die gealterte Marie im Mittelpunkt stand. Damals verbrachte der Schriftsteller einige Zeit als Stipendiat im Literarischen Colloquium am Wannsee. Von dort ist es nur ein Katzensprung zur Pfaueninsel. Die Figur ließ Hettche keine Ruhe und wurde schließlich zur ambivalenten Heldin des 2014 erschienenen Bestsellers, der es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte. Mit der Kleinwüchsigkeit hat Hettche sich intensiv beschäftigt und viel darüber gelesen, vor allem aber auch Gespräche mit Betroffenen geführt: „Es geht nichts über die persönliche Begegnung.“

Eine Vielzahl von Themen hat der in Hessen geborene Autor in die Lebensgeschichte Marie Strakons eingeflochten. Natürlich geht es um Außenseitertum und soziale Akzeptanz, aber auch um die Landschaftsgärtnerei und den Wunsch nach Exotik, um verschmähte, hoffnungslose und unerwiderte Liebe, die, wie der Autor sagt, in direktem Zusammenhang mit dem Schönheitsbegriff zu sehen ist, und immer wieder um das Werden, die Vergänglichkeit und das Bleibende.

Fiktion und Authentizität sind in Hettches Pfaueninsel eine vielgestaltige, facettenreiche Verbindung eingegangen, ohne dass Nahtstellen zu erkennen wären. So ist das Grabmal der Maria Dorothea Strakon bis heute erhalten, und viele der Romanfiguren – von der Königin Luise bis zum Landschaftsgärtner Lenné – sind historische Persönlichkeiten. Doch wer die Pfaueninsel besucht, um die konkreten Schauplätze zu besichtigen, wird vergebens suchen, was nur zum Teil daran liegt, dass sie neuen landwirtschaftlichen Konzepten weichen mussten.
  
Natürlich hat Hettche selbst unzählige Ausflüge zur Pfaueninsel unternommen, meist mit seinen beiden Kindern, und den von Verena Auffermann als misstönend beschriebenen Schrei dieser Tiere findet er gar nicht so unangenehm, sondern eher interessant: „Das klingt so, als käme es aus einem sehr tiefen Raum.“

Zwei Textpassagen stellte der mehrfach ausgezeichnete Autor an diesem Abend vor. Neben dem Anfangskapitel las er auch jene Szene mit Marie und dem Koch, der für sie ein exquisites Menü zubereitet. Diese Begegnung habe er eigens konstruiert, um Marie auch einmal in die Stadt Berlin zu führen, erklärte Hettche augenzwinkernd. Der Detailreichtum, mit dem die Zutaten und Speisen des Liebesmahls geschildert werden, wirkte unvermeidlich appetitanregend, und so kam es wohl den meisten Zuhörern sehr gelegen, dass sie die knurrenden Mägen beim anschließenden Empfang mit hessischen Spezialitäten füllen konnten.


Thomas Hettche: Pfaueninsel, Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 19,90 Euro



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